Als Lebensmittelwissenschaftlerin interessiert mich die Herstellung unserer Nahrung und ich habe bereits einige Betriebe der Lebens- und Nahrungsmittelproduktion "von innen" kennengelernt.
Lebens- UND Nahrungsmittelproduktion? Ja, auch wenn diese beiden Begriffe häufig synonym verwendet werden, möchte ich kurz auf die Unterschiede eingehen: Lebensmittel sind Erzeugnisse natürlichen Ursprungs, bzw. nur mechanisch veränderte oder fermentierte Produkte.1) Nahrungsmittel hingegen werden u. a. aus Lebensmitteln hergestellt, sind also weiterverarbeitete Produkte, die z. B. erhitzt, konserviert oder zubereitet wurden.2)
Die industrielle Produktion unserer Lebens- und Nahrungsmittel erfolgt heute oft durch den Einsatz von hocheffizienten, computergesteuerten Maschinen. Darüber hinaus wird in den Betrieben eine sichere, klimatisch optimale und hygienisch einwandfreie Umgebung geschaffen, um eine effektive Produktion an vielen Standorten zu ermöglichen. Die Herstellung von z. B. Tiefkühlkost wäre ansonsten nur in wenigen Regionen der Erde wirtschaftlich sinnvoll möglich.
Doch genau diese lokalen Einflüsse finden wir bei unseren Recherchen nach traditionellen Methoden der Lebensmittelproduktion spannend: Das alte, bewährte Wissen muss auch immer die regionalen Besonderheiten berücksichtigen. Schon die Mütter und Großväter lernten von ihren Vorfahren, wie sie die verschiedenen klimatischen Herausforderungen im Wechsel der Jahreszeiten am besten meistern, um die nächste Ernte nicht zu gefährden. Ob viel oder wenig Regen fällt, ein Schädling sich ausbreitet oder die ersten Knollen unter der Erde kränklich kümmern, für jedes Szenario brauchten die Bauern eine tradierte, bewährte Methode, um am Ende nicht ohne Nahrung dazustehen. Ihr Leben hing davon ab, erfolgreich zu sein. Auch Gesellschaften, die ihre Ernährung noch ursprünglicher durch Sammeln, Jagd oder Fischen sicherten, waren auf ihren Erfolg angewiesen.
Arbeitet man sich in die Thematik ein, wie die Menschen in den letzten ca. 10.000 Jahren, also seit der Sesshaftwerdung, ihre Nahrung erzeugten, gibt es hierzu viele Antworten - z. B. abgeleitet aus historischen Artefakten oder schriftlichen Überlieferungen. Die Menschen sammeln Nüsse und Beeren, erfinden diese oder jene Werkzeuge, um ihre Tiere zu erlegen und zu zerteilen, sie stellen Fallen, bauen Feldfrüchte an und ernten sie. Doch wie genau machten sie das? Warum genau dort? Woran erkannten sie, dass es sich lohnt, genau in diesem Gewässer zu fischen? In diesem Wald Pilze zu sammeln?
Dieses Wissen sowie die Fähigkeit, es auch erfolgreich z. B. in klimatisch herausfordernden Regionen anzuwenden, schwinden gegenwärtig zunehmend.
Wir von traditura denken jedoch, dass dieses alte, von Generation zu Generation überlieferte Wissen auch noch heute irgendwo auf der Welt praktiziert wird. Genau diese Menschen möchten wir finden und ihr altes, bewährtes Wissen detailliert dokumentieren, um es zu bewahren. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Erfahrungsschatz bisher nicht mit allzu vielen anderen Menschen geteilt werden durfte, damit die Nahrungsquelle nicht ausgebeutet wird und die eigene Gruppe am Ende selbst ohne dasteht. Das Leben der eigenen Familie hing bzw. hängt noch heute davon ab. Schon immer musste man also nachhaltig denken und wirtschaften, um langfristig überlebensfähig zu sein. Gelang dies nicht, musste man weiterziehen und von vorne beginnen, nämlich mit der Suche nach neuen, ertragreichen Nahrungsquellen.
Traditionelle Methoden der Lebensmittelproduktion definieren wir als bewährtes Wissen zur nachhaltigen Erzeugung von Lebensmitteln, das bestenfalls seit Jahrhunderten durch gelebte Praxis oder mündlich überliefert wird. Dieses erprobte Wissen hat bereits einen Evolutionsprozess durchlaufen, ist aber noch ursprünglich und berücksichtigt regionale und klimatische Besonderheiten.
Wie und woran erkennt der kamelhaltende Beduine in der Sahara, dass er an genau dieser Stelle Wasser in der Wüste findet? Wie gewinnt er es, um damit seinen und den Durst seiner Tiere zu stillen? Woher weiß er, wann die Quelle versiegt und er besser weiter zieht, von den Sommer- in die Winterweidegebiete?
Welche traditionellen Jagdmethoden wenden die indigenen Volksgruppen im arktischen Grönland heute noch an? Wie genau gehen sie dabei vor?
Vieles ist bereits gut dokumentiert. Ob in Museen vor Ort, die die traditionelle Nahrungsgewinnung und Ernährung durch historische Funde belegen, oder in Form von zahlreichen Büchern, Fotos und Filmen. Auch im Internet sind interessante Dokumentationen und Berichte jederzeit verfügbar. Jedoch fehlt eine umfangreiche, dokumentarische Quelle, welche das traditionelle Wissen über die Lebensmittelerzeugung unter klimatisch herausfordernden Bedingungen bereitstellt, mit Informationen, die heute noch praktisch angewandt werden können.
Genau hier setzen wir von traditura an und tragen mit eigenen Fotos, Filmen und einer Datenbank genau dieses Detailwissen strukturiert zusammen.
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Im nächsten Beitrag erfahren Sie, weshalb wir uns dabei nach Klimazonen richten und damit länderübergreifend an diese Aufgabe herangehen.
1) Beispiele für Lebensmittel natürlichen Ursprungs sind frisches Gemüse, Getreide, Nüsse, Eier oder Quellwasser. Mechanisch veränderte Lebensmittel werden durch Pressen, Schneiden, Mahlen, etc. erzeugt wie z. B. Obstsaft, rohes Fleisch, gemahlene Nüsse, Rohmilchprodukte wie z. B. Sahne. Fermentiert werden Lebensmittel mit Hefen, Bakterien oder durch Eigenfermente. Sauerkraut oder Gärmilchprodukte (z. B. Käse, Joghurt) und Wein sind Beispiele hierfür.
2) Für erhitzte Nahrungsmittel stehen z. B. gekochte Kartoffeln, Vollkorngebäck oder gebratenes Fleisch. Produkte wie H-Milch und sämtliche Arten von Konserven sind, wie der Name schon sagt, Beispiele für konservierte Nahrungsmittel. Fabrikzucker und Erzeugnisse daraus bzw. damit, Auszugsmehl und Produkte daraus (wie Weißbrot oder Nudeln), Margarine und Cola sind nur wenige Beispiele für weitere, verarbeitete Nahrungsmittel.